Ein Thema, das auch in den sozialen Medien immer mehr Aufmerksamkeit bekommt. Wie auch bei vielen anderen Themen sehe ich immer wieder die irrsinnigsten Empfehlungen, bis hin zu Listen mit erlaubten und verbotenen Lebensmitteln bei Histaminintoleranz.
Im heutigen Beitrag erfährst du mehr über die Histaminintoleranz und mein einerseits wissenschaftsbasiertes Wissen, andererseits meine persönliche Patient*innenerfahrung mit Histamin.
Was ist Histamin?
Histamin ist ein biogenes Amin – Das sind Stoffe, die aus Aminosäuren entstehen und im Körper für die Informationsweiterleitung im Nervensystem zuständig sind. Weitere biogene Amine sind z.B. Tyramin oder Phenylethylamin. Biogene Amine können beim Lebensmittelverderb, aber auch bei der Lebensmittelverarbeitung durch Fermentation und Reifung entstehen.
Enthalten ist Histamin in lang gereiften Lebensmitteln wie z.B. Rotwein, Hartkäse, Salami oder geräucherter Fisch. Es gibt jedoch auch Lebensmitteln die Histaminliberatoren enthalten. Das sind Stoffe, die die Freisetzung von Histamin fördern. Dazu gehören z.B. Tomaten, Sauerkraut oder Spinat.
Der Gehalt an Histamin in Lebensmitteln unterliegt starken Schwankungen, da dieser in Abhängigkeit von Reifegrad (z.B. Weichkäse vs. Hartkäse), Lagerdauer (frisch vs. alt) und Verarbeitung (frisch gekocht vs. aufgewärmt) steht.
Symptome einer Histaminintoleranz
Die genaue Ursache ist noch unklar. Vermutet wird eine Abbaustörung, die zu Beschwerden führt.
Die Symptome sind vielfältig und können von Hautsymptomen wie Rötung und Juckreiz bis hin zu Verengung der Atemwege, Übelkeit, Durchfällen, Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel (…) reichen. Auch eine schmerzhafte Menstruation kann mit Histamin in Verbindung stehen.
Das heißt jedoch nicht, dass jeder der auf Histamin reagiert, ALLE Symptome aufweist. Zudem können die Symptome sich sowohl als Sofortreaktionen, als auch als Spätreaktionen manifestieren. Aus diesem Grund kann ein direkter Zusammenhang nicht immer direkt erkannt werden.
Einflüsse auf die Symptome: Medikamente, entzündliche Darmerkrankungen, Alkoholgenuss, veränderter Hormonstatus, PMS, Zusammensetzung des Mikrobioms
Zur Prävalenz der Histaminunverträglichkeit liegen keine genauen Daten vor, grobe Schätzungen aus Österreich aus 2009 gehen jedoch von 3 bis 4 % in der Bevölkerung aus. Aktuellere Daten liegen derzeit noch nicht vor.
Histaminunverträglichkeit vs. Histaminintoleranz
Als Intoleranz wird eine Störung beschrieben, bei der Stoffe, die zugeführt oder freigesetzt wurden, nicht ausreichend verarbeitet werden können. Da bei Histamin dieser Zusammenhang nicht eindeutig ist, wird empfohlen von einer Histaminunverträglichkeit zu sprechen.
Diagnosestellung
Histamin wird im Körper über die Diaminoxidase abgebaut. Diese kann auch im Blutbild überprüft werden und kann bei Histaminunverträglichkeit vermindert sein. Diese ist jedoch kein aussagekräftiger Marker. Warum? Weil Histamin auch über die HNMT (Histamin-N-Methyltransferase) abgebaut wird.
Die beste Möglichkeit eine sichere Diagnose zu erhalten ist ein Ernährungs- und Symptomtagebuch (unter Begleitung von Diätolog*in und Ärzt*in) und der Ausschluss von anderen Ursachen.
Was ist der derzeitige Stand der Forschung?
Das Krankheitsbild der Histaminunverträglichkeit ist wissenschaftlich umstritten und es stellt sich sogar die Frage, ob das Problem überhaupt am Histamin liegt.
2 Studien:
Eine Studie von Jahrisch et. al konnte bei Menschen mit Verdacht einer Histaminunverträglichkeit zeigen, dass die Beschwerden, die nach dem Verzehr von histaminreichen Lebensmitteln aufgetreten sind, durch eine histaminarme Diät verbessert werden.
Eine Studie von Komericki et. al hingegen ergab, dass Patient*innen nach der Provokation von 75 mg isolierten Histamin dieses Reaktionsschema nicht gezeigt haben. Jedoch konnte durch die Gabe von DAO-Kapseln (Enzym, das Histamin abbaut) die Symptome reduziert werden.
Was jetzt also?
Die Ergebnisse dieser Studie unterstützen die Annahme, dass neben dem Histamin, auch das Vorhandensein anderer biogener Amine eine Rolle spielt. Nicht nur Histamin, sondern auch weitere biogene Amine wie Tyramin und Phenylethylamin stehen im Verdacht Unverträglichkeitsreaktionen auszulösen, die den Symptomen der Histaminunverträglichkeit gleichen. Käse enthält z.B. nicht nur Histamin, sondern auch Tryptophan und Phenylalanin.
Therapie
Wird eine Histaminunverträglichkeit gesichert diagnostiziert, so besteht die Ernährungstherapie in einer histaminarmen Ernährung, angepasst an die eigenen Toleranzschwellen und unter Berücksichtigung der Begleitumstände (weiblicher Zyklus, Medikamenteneinnahme, Stress…).
Zudem besteht ein Zusammenhang mit der Supplementation von Diaminoxidase und der Verbesserung von Beschwerden. Um eine generelle Therapieempfehlung aussprechen zu können, bedarf es jedoch weiteren Studien, da sich die vorhandenen Studien in den Punkten Studiendesign, Enzymdosierung, Interventionszeitpunkt und Messung der Ergebnisse unterscheiden.
Weiters gibt es Hinweise darauf, dass Antihistaminika wie H1- und H2-Rezeptorblocker zur Behandlung einzelner Symptome über einen definierten Zeitraum eingesetzt werden können, um zu überprüfen, ob sich das Beschwerdebild verbessert.
Aus eigener Erfahrung mit meinen Patient*innen kann ich sagen, dass die psychische Komponente meist eine große Rolle spielt. Die Angst vor Lebensmitteln, die auf irgendwelchen Listen auf der "Verboten-Liste" stehen, kann tatsächlich eine Reaktion hervorrufen, denn: Stress, egal ob tatsächlich erlebt oder nur in Gedanken, verändert die Darmdurchlässigkeit. Dadurch können sich die Beschwerden verstärken.
Fazit
Bei der Histaminunverträglichkeit handelt es sich weniger um ein isoliertes Krankheitsbild, das Schwarz oder Weiß ist, sondern um einen Symptomenkomplex.
Histamin ist immer eine Dosisfrage und daher sind Verboten/Nicht-Verboten Listen und starke Restriktionen nicht zielführend.
Wenn du den Verdacht hast eine Unverträglichkeit zu haben, wende dich an eine Diätolog*in und einen spezialisierten Ärzt*in.
QUELLEN:
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